Nicht verzagen
Hallo Netzgemeinde,
wer benutzt denn heute noch so ein Wort – verzagen? Klingt irgendwie altbacken und aus einer anderen Zeit. Wäre da nicht diese Redewendung, die gefühlt jeder kennt: „Nicht verzagen, … fragen„.
Kein Mensch kann sich davon frei machen in seinem Leben das ein oder andere Mal verzagt gewesen zu sein. Verzagt ist man, wenn man den Mut / das Selbstvertrauen verliert oder in einer schwierigen Situation kleinmütig wird (noch so ein Wort: kleinmütig von kleiner Mut). Es gibt eben diese Tage oder Situationen wo sich scheinbar alles, aber auch wirklich alles gegen uns verschworen hat. Und dann ist es irgendwann auch genug – wir verzagen.
Interessanterweise verzagen (kleine) Kinder weniger als Erwachsene. Das finde ich erstaunlich, denn Kindern gelingt weniger als Erwachsenen. Einfach schon deshalb weil die motorischen Fähigkeiten, Erfahrungen und das logische Denken fehlen bzw. noch nicht ausgeprägt sind. Kindern fehlt aber noch etwas ganz entscheidendes: die persönliche Komfortzone und die Kenntnis von Niederlagen außerhalb dieser Zone.
Wir Erwachsenen sind augenscheinlich in unserer Entwicklung weiter. Jedoch lässt uns ein Effekt, den wir in unserem Leben stetig erfahren, zu manchmal verzagten Menschen werden: Priming!
Der Priming-Effekt aktiviert Assoziationen und Kontexte – sowohl positive, als auch negative. Unser Hirn verarbeitet die kognitiven Reize und speichert sie feinsäuberlich ab. Haben wir also mit einer Sache A zwei-drei Mal schlechte Erfahrungen gesammelt, werden wir sie sicher niemandem empfehlen.
Gleiches tun wir mit unserer Lebenssituation. Ein sehr guter Kollege schilderte mir kürzlich folgende „Geschichte“ aus seinem Leben: Er hatte schlecht geschlafen und kam morgens kaum aus dem Bett. Bei der Morgentoilette fiel ihm zunächst die Zahnbürste ins Waschbecken und auf dem WC reichte die Papierrolle nicht aus. Als er vor die Tür ging war es kälter als erwartet und im Laufe des Tages begann es zu regnen. Ein Verhandlungsgespräch mit einem Geschäftspartner verlief entgegen aller vorherigen Hoffnungen sehr schlecht und das angebahnte Geschäft scheiterte. „In dem Moment habe ich mich gefragt, ob ich in meinem Job noch richtig bin.“ so der Kollege – er war in diesem Moment verzagt. Seine Assoziation des Geschäftsgespräches mit den negativen Ereignissen des Tages ließen ihn an sich selbst zweifeln, eine irrationale Verbindung zwischen schlechtem Wetter und Geschäftsergebnissen herstellen und an eine schicksalhafte Fügung für mindestens diesen Tag glauben.
Wie fatal, wenn man in einer solchen Situation nicht die Möglichkeit hat sich selbst zu reflektieren. In solchen Momenten ist man der Welt – im Positiven, aber leider auch im Negativen – ausgeliefert. Jetzt treten die Engelchen und Teufelchen – die sich im Übirgen größte Mühe geben nicht als solche erkannt zu werden – auf. Sie suchen im Hirn nach Kontexten und Zusammenhängen, geben Ratschläge (also Schläge!) und vor allem suchen sie nach einer einfachen Lösung. Willkommen im persönlichen Populismus!
Und was war das jetzt mit der Selbstreflektion? – Ja, genau das ist es was Priming überwinden kann. Ist das einfach? Nein, aber einfacher als gedacht. Wir verzagen, wenn der Blick immer enger wird (Tunnelblick) und nichts mehr um uns herum wahrnehmen. WIR sind der negative Mittelpunkt des Universums. Jetzt kommt der einzige schwierige Teil: wir müssen es schaffen, mindestens einen gedanklichen Schritt raus aus dieser Situation zu machen, z.B. mit der banalen Frage: „Wie stellt sich meine Gesamtsituation wirklich dar?“ Wichtig ist es, sich nun die Frage selbst zu beantworten, z.B. Regen kommt und geht – so ist das Wetter eben, mir ist die Zahnbürste (oder etwas anderes) schon mal hingefallen und der Tag war trotzdem gut, auch andere Gespräche sind schon schlecht gelaufen – obwohl die Sonne schien usw. Die Gesamtsituation ist eine andere als die Einzelsituation. Und nur auf diese kommt es an. „Woran ist das Gespräch wirklich gescheitert? Habe ich die falsche Taktik gewählt? Waren die Unterlagen schlecht vorbereitet? Habe ich dem Gesprächspartner wirklich zugehört?“ oder oder oder
Merke: wenn Du verzagt bist, werden viele (Rat)Schläge Dich treffen – Aua! Schläge sind nicht gut. Und die andere Person kann Deine wichtigste Bezugsperson sein, aber sie fühlt/erlebt trotzdem nicht das was Du fühlst/erlebst.
Wenn Du verzagt bist, gibt es dafür nur einen Lösungsansatz: „Nicht verzagen, sich selber fragen!“
Live long and prosper
Euer Markus